Autor: stg_4

  • Musste es so kommen?

    Musste es so kommen?

    Die Abgaben drückten die Bauern herab. Zugleich waren sie ein Fortschritt gegenüber dem Frondienst.

    Von Philipp Kissel

    Musste es so kommen?

    Essay zur Frage der Gesetzmäßigkeit in der Geschichte und der Unvermeidlichkeit des Sozialismus

    Eine Frage hat uns in den ersten beiden Modulen des Studiengangs beschäftigt: Warum soll aus dem Kapitalismus zwangsläufig der Sozialismus entstehen? Warum nicht etwas anderes? Dieselbe Frage kann auch für die Vergangenheit gestellt werden: Warum resultierte der Feudalismus aus der Sklavenhaltergesellschaft und aus diesem der Kapitalismus? Was ist die Gesetzmäßigkeit und warum hätte die Geschichte nicht auch ganz anders verlaufen können

    Gesetzmäßigkeiten auf Geschichte und menschliche Gesellschaft anzuwenden, erscheint seltsam oder ungewohnt. Wir kennen diese eher aus den Naturwissenschaften. Gerade für Geschichte wird uns oft eher ein romantisches Bild vermittelt: Kaiser oder Generäle, die große Taten vollbrachten. Oder ein eher chaotisches: Alltagshandlungen, die eben so waren wie sie waren. Jede Stufe der menschlichen Entwicklung und ihrer Produktionsverhältnisse hat eigene Gesetzmäßigkeiten. Im Kapitalismus beispielsweise das Gesetz der Konkurrenz, das man nicht auslöschen kann ohne den Kapitalismus zu beseitigen. Und es gibt eine grundlegende Gesetzmäßigkeit der menschlichen Entwicklung: Die Entwicklung der Produktivkräfte und die Herausbildung von Produktionsverhältnissen. Im Laufe der Entwicklung bilden sich verschiedene Verhältnisse heraus, die am ehesten der Entwicklung der Produktivkräfte entsprechen. Das geschieht scheinbar durch Zufälle und auch tatsächlich durch Zufälle, also durch konkrete und spezifische Handlungen. Aber diese sind kein Zufall, also nicht beliebig. Sie sind  Ausdruck der Notwendigkeit oder besser gesagt die Form, in der die Gesetzmäßigkeit sich durchsetzt.

    In diesem Zusammenhang wurde uns klar, dass auch Phänomene der Geschichte der Menschheit, die wir als abscheulich empfinden, einen Fortschritt darstellten: Die Sklavenhalterproduktion ermöglichte große Fortschritte in der Kultivierung der Landschaft und schließlich in der Erschaffung von Staatswesen und Ausdrücken großer Kultur. Um beispielsweise Landschaften trocken zu legen, waren größere Massen Arbeitskräfte notwendig, die eingesetzt werden konnten, um wiederum eine größere landwirtschaftliche Produktion zu ermöglichen. Dies geschah historisch konkret in der einzig möglichen, zugänglichen Form und das war der Einsatz von Sklaven. Die Steigerung der Produktivität der dann folgenden großen landwirtschaftlichen Produktion war ebenfalls erstmal nur durch die einfache Kooperation der Sklavenarbeit möglich.

    Bereits in der Sklavenhalter-Epoche reift die nächste Form der größeren Produktivität heran: Die der freien Bauern und Gärtner, die ihre Arbeitsgeräte und anfangs zum Teil auch das Land besitzen und für sich – und dann auch für andere – produzieren können. Das Eigentum an den Produktionsmitteln, der freie Bezug zur Arbeit bringt die Steigerung der Produktivität gegenüber der Sklavenarbeit, in der keine Technik eingesetzt werden kann, weil die Sklaven sie nicht nutzen würden, weil sie ihre Arbeit, die unter Zwang und Elend stattfindet nur hassen können. Die Bauern schaffen es oftmals, statt Fronarbeit leisten zu müssen, die Produktenabgabe durchzusetzen und dadurch einen Teil der Produktivitätssteigerung, die sie erzielen, behalten zu können. Die spätere Geldabgabe bringt auf der einen Seite Schuldsklaverei mit sich, auf der anderen Seite führt sie zu einer Steigerung der Landwirtschaft, die für die industrielle Produktion neue Güter produziert. Geld bringt also Fortschritt in die Geschichte, weil es den Handel steigert, die Produktion anregt und die Speicherung von Wert ermöglicht. Die Marktwirtschaft, also die Ausweitung der Tauschverhältnisse, bringt ebenfalls Fortschritt. Es ist die Form, in der die vereinzelte Produktion des Feudalismus zusammen geführt wird. Man könnte sagen: Sie steigert den gesellschaftlichen Charakter der Produktion und damit steigert sie die Produktivkräfte.

    Hätten alle diese Schritte zur Steigerung der Produktivkraft auch anders vollzogen werden können? Sie hätten historisch konkret anders ablaufen können und in einzelnen Regionen der Welt war das auch so. Aber auf Weltmaßtstabs-Ebene konnten sie nur so vonstattengehen. Die Sklaverei war die damals mögliche Form der Steigerung der Arbeitskraft, im Feudalismus die der einzelnen Bauernproduktion. In diesem Sinne konnte aus der Sklaverei nur der Feudalismus folgen, weil nur so der Widerspruch aufgelöst werden konnte, der in der Sklavenhaltergesellschaft entstanden war: Mit der Sklavenarbeit war eine weitere Steigerung der Produktivität nicht mehr möglich, weil es Sklavenarbeit war und damit eine extrem entfremdete Arbeit, eine die Arbeitskraft zu stark unterdrückende Form der Arbeit. Die Steigerung der Produktivkräfte im Feudalismus wiederum erzwang eine Form, die größere Beweglichkeit, größere Zusammenballung von Arbeitskräften und die Sprengung der Auflagen der feudalen Herrschaft über die Arbeit ermöglichte. Durch den Kapitalismus wurden die Produktivkräfte von ihren feudalen Fesseln befreit – und auch hier gab es im Weltmaßstab nur diesen Weg zur nächsten Stufe der menschlichen Entwicklung. Die Fesseln, die wiederum der Kapitalismus den Produktivkräften anlegt, sind seit er in sein Stadium des Niedergangs (seit ca. 1900) getreten ist, in unerträglichem Maße deutlich zu erkennen. Und der nächste Schritt muss eine bestimmte Qualität aufweisen: Die Produktionsverhältnisse müssen dem enorm gesteigerten gesellschaftlichen Charakter der Produktion entsprechen und die Hürde des Privateigentums an den Produktionsmitteln aus dem Weg räumen.

    Das ist der Kern des Sozialismus und er ist deshalb unvermeidlich und er ist deshalb historisch bereits vollzogen worden. Die zwischenzeitliche Niederlage ändert daran nichts.

    Interessant ist, dass in dieser Übergangsperiode auch Mittel angewandt werden können (oder müssen?), die eigentlich aus der alten Formation stammen, aber noch nötig sind, um den Stand der Produktivkräfte auf ein Niveau zu bringen, das sie überflüssig macht. In der Sowjetunion mussten Anfang der 1920er Jahre in der „Neuen Ökonomischen Politik“ Marktelemente und Privateigentum zugelassen werden, um die zersplitterte Bauernökonomie und den Handel in Schwung zu bringen. Das waren politisch notwendige Maßnahmen, die aber auch mit der noch rückschrittlichen Verfasstheit der Ökonomie zusammenhingen. Ähnliches wurde für die Politik der Reform und Öffnung in China 1979 angeführt. Die Bedingung dafür, dass sie einem fortschrittlichen Zweck dienten, war, dass die „Kommandohöhen“ der Ökonomie in den Händen des proletarischen (oder in China dem Bündnis aus nationaler Bourgeoisie, Bauern und Proletariat) Staates waren. In diesen Händen können also im historischen Maßstab gesehen überkommene Methoden nützlich sein, um der neuen Gesellschaft zur Geburt zu verhelfen.

    Damit ist die nächste Frage unserer Diskussion aufgeworfen: Hängt es heute nur noch am subjektiven Faktor, also dem bewussten und organisierten Handeln, dass die Menschheit in die nächste Formation schreitet? Die Produktivkräfte sind überreif, der Sozialismus längst möglich, aber die bürgerliche Klasse kann sich noch halten. Was würde das bedeuten, wenn es „nur noch“ die politische Verfasstheit und Bereitschaft der internationalen Arbeiterklasse ist, auf die es ankommt? Und in welchem Verhältnis steht diese Frage zu den objektiven Bedingungen, mit denen diese Klasse konfrontiert ist?

  • Vollzieht sich Entwicklung überall gleich?

    Vollzieht sich Entwicklung überall gleich?

    Vollzieht sich Entwicklung überall gleich?

    Gedanken zum Charakter der sich gesetzmäßig vollziehenden Entwicklung.

    Von Paul Oswald

    Wie funktioniert gesellschaftliche Entwicklung, und was bedeutet es, dass sie sich gesetzmäßig vollzogen hat und weiterhin vollzieht? Diese Fragen gehörten zu den zentralen Themen im ersten Modul über den Historischen Materialismus. Besonders beschäftigt hat uns die Widersprüchlichkeit zwischen Produktionsverhältnissen und der Entwicklung der Produktivkräfte sowie die Erkenntnis, dass jede neu erreichte gesellschaftliche Stufe einen Fortschritt mit sich brachte. Der entscheidendste Punkt – den die bürgerliche Klasse mit allen Mitteln zu leugnen versucht – ist die Gesetzmäßigkeit (d.h. Zwangsläufigkeit) der kommunistischen Produktionsweise. Diese Erkenntnis wird verklärt, da sie den zwangsläufigen Untergang der bürgerlichen Gesellschaft und der bürgerlichen Klasse impliziert.

    Zu Beginn des Moduls stellte sich die Frage, ob sich die gesetzmäßigen gesellschaftlichen Stufen überall auf der Welt gleichermaßen durchgesetzt haben und ob diese Annahme somit überhaupt Gültigkeit besitzt. Nicht jede Gesellschaft durchlief alle Entwicklungsstufen, und nicht in jeder Gesellschaft kam es zu revolutionären Umbrüchen. Dies hängt mit dem Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung zusammen. Betrachtet man die verschiedenen Kontinente, fällt auf, dass sich die Gesellschaften einerseits durch ihre natürlichen Bedingungen (z.B. geographische, klimatische) und andererseits durch ihren gesellschaftlichen Überbau (z.B. in den Ausprägungen des Staates) unterscheiden. Diese Unterschiede führten dazu, dass sich gesellschaftliche Entwicklungen, ausgehend von den jeweiligen Bedingungen, in unterschiedlicher Geschwindigkeit vollzogen und verschiedene Ausprägungen annahmen. So entwickelte sich in China historisch kein Kapitalismus, obwohl es einen sehr weitentwickelten Feudalismus gab – Marx bezieht sich in diesem Zusammenhang an manchen Stellen auf die asiatische Produktionsweise. Und obwohl in China kein Kapitalismus entstand, kam es zu einer sozialistischen Revolution. Die Gesellschaften auf dem afrikanischen Kontinent befanden sich im 15. Jahrhundert zwischen der Urgesellschaft und dem Feudalismus. Die Produktionsweise der Sklaverei existierte in den afrikanischen Gesellschaften nie, obwohl es dort ebenfalls Sklaven gab. In Afrika kam es bis zu den antikolonialen Kämpfen nie zu einer revolutionären Entwicklung, da die Gesellschaften bis zum 15. Jahrhundert unterhalb des Feudalismus blieben, sich somit keine Sklavenhaltergesellschaft herausbildete und die Klassengegensätze sich nicht entfalten konnten.

    Ab dem 15. Jahrhundert fand in Europa eine Internationalisierung des Handels statt, und europäische Gesellschaften brachen mit Schiffen in die Welt auf. Dies führte dazu, dass Gesellschaften, die sich auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen befanden, aufeinandertrafen: die spätfeudalen/frühkapitalistischen europäischen Gesellschaften und ur- oder halbfeudale Gesellschaften in Afrika, Asien und Amerika. Dies hatte weitreichende Konsequenzen: Einerseits machten die westlichen Gesellschaften rasante Entwicklungssprünge, während den weniger entwickelten Gesellschaften die Kapazitäten für ein selbsttragendes wirtschaftliches Wachstum raubten. In Amerika wurden ganze Gesellschaften ausgelöscht, und die Gold- und Silbervorkommen wurden unter den Nagel gerissen. In Afrika wurden europäische Handelsgüter gegen Sklaven eingetauscht – unter anderem, um das Gold und Silber aus Amerika zu rauben. Dies zerriss die bisherigen Gesellschaften Afrikas, die nun begannen, sich gegenseitig zu bekriegen, um Gefangene nehmen zu können, die sie an die Europäer gegen Handelswaren verkauften. Teilweise boten sie sogar eigene Gesellschaftsmitglieder den Europäern an.

    Nach der Sklaverei war der gewachsene Kapitalismus in Westeuropa und Nordamerika in der Lage, die ganze Welt in ein globales Produktionsnetzwerk einzubeziehen. Der Sklavenhandel wurde durch den Kolonialismus abgelöst. Dies geschah dort am schnellsten, wo die Europäer bereit waren, andere Güter (wie z.B. Elfenbein, Gummi, Palmenerzeugnisse usw.) einzutauschen. In den afrikanischen Gesellschaften entwickelten sich die europäischen Handelswaren zunehmend von Luxus- zu alltäglichen Konsumgütern. Der alltägliche Konsum europäischer Handelsgüter führte dazu, dass in den afrikanischen Gesellschaften schnell die Bereitschaft entstand, eine Alternative zum Sklavenhandel zu organisieren. Die europäischen Handelsgesellschaften erlangten ein unfassbares Vermögen, und die europäischen Hafenstädte entwickelten sich zu den Zentren der kapitalistischen Entwicklung. Neben dem direkten Raub an Ressourcen und Menschen zerstörten die Europäer auch vorhandene Entwicklungen. Das bekannteste Beispiel ist vermutlich die Zerstörung der indischen Textilindustrie, an der Großbritannien mit allen Mitteln arbeitete.

    In dem entstehenden Kolonialsystem war eines der wichtigsten Merkmale, dass Afrikaner als wirtschaftliche, politische und kulturelle Vertreter der Kolonisatoren dienten. Ein zentrales Mittel, um dies zu erreichen, war die koloniale Bildung. Die Kolonisten errichteten Handelsbarrieren, und die Kolonien wurden gezwungen, lediglich mit ihrem Mutterland Handel zu treiben. Dieses bestimmte die Handelsbedingungen und fand einen Markt vor, auf dem es selbst die schlechteste Ware absetzen konnte, weil es keine Konkurrenz gab. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der rasante Fortschritt in den kapitalistischen (und später imperialistischen) Ländern auch aus diesem international gewachsenen Verhältnis resultierte. Die Entwicklung und der Fortschritt wurden zu einem Resultat der Unterentwicklung und Unterdrückung.

    Während sich in Europa mit der aufsteigenden Entwicklung der Produktionsweisen parallel die Klassengegensätze weiter entfalteten und schließlich auf zwei Klassen (Proletariat und Bourgeoisie) konzentrierten, entstand in einem Großteil der Welt als entscheidender Gegensatz der zwischen verschiedenen Gesellschaften (Mutterland und Kolonie). Dieser Gegensatz lenkte die Entwicklung, indem von außen bestimmt wurde, an welchem Ort, auf welche Weise und was produziert wurde. Der Klassenkampf ist in jenen Ländern, denen die Möglichkeiten für eine selbstständige Entwicklung genommen wurden, unmittelbar mit der Wiedererlangung eben dieser verknüpft.

    All das widerspricht nicht der gesetzmäßigen und stufenweisen Folge von Produktionsweisen, die sich welthistorisch durchgesetzt hat. Auch in Afrika, Amerika und Asien vollzog sich eine Entwicklung der Produktionsweise bis zu einer bestimmten Stufe. Diese Gesellschaften wurden alle auf die ein oder andere Weise in das kapitalistische Produktionssystem eingebunden. Die verschiedenen Entwicklungsstufen setzten sich in einem internationalen Maßstab durch und bedingten den internationalen Verkehr (z.B. das Aufkommen der Schifffahrt und des Seehandels) – wie sich in den Beziehungen zwischen Europa, Afrika, Asien und Amerika zeigt. Neben dem Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion bei privater Aneignung tritt zusätzlich der Widerspruch zwischen reichen entwickelten Ländern und jenen, aus denen Reichtum gezogen wird. Auch dieser Widerspruch drängt gesetzmäßig in Richtung der Sprengung der bisherigen (internationalen) Produktionsverhältnisse, da der internationale Handel und damit verbunden die Entwicklung der internationalen Produktivkräfte im Gegensatz zu der Kontrolle und den Fesseln durch einige wenige Länder und ihrer Bourgeoisie steht, die den internationalen Austausch kontrollieren. Ist es dann nicht so, dass auch in diesen Gesellschaften die Widersprüche in Richtung einer kommunistischen Produktionsweise drängen, um aus dem System der Beherrschung und Unterdrückung auszubrechen?