Die marxsche Geschichtskonzeption vermitteln

Ein Kommentar von Erik
Wie kann die marxsche Geschichtskonzeption am besten vermittelt werden? Ein Erfahrungsbericht aus unserem Lesezirkel.

Als wir uns mit den Textfragmenten aus dem Konvolut „Feuerbach, Textfragment. Deutsche Ideologie“]1 beschäftigten, wollten wir zunächst verstehen, wie Marx seine historisch-materialistische Geschichtsauffassung entwickelte. Für viele TeilnehmerInnen unserer Lesegruppe aber  war es das erste Mal, dass sie sich mit Marx beschäftigten. Aus diesem Grund entstand in den beiden Sitzungen eine besondere Dynamik, in der wir uns einerseits mit dem Inhalt der Texte befassten und andererseits verstehen mussten, welche Struktur Marx zur Analyse der Geschichte verwendete.

 Dieser Artikel wird sich vor allem auf diesen zweiten Teil konzentrieren, d.h. auf die Darstellung unserer gemeinsamen Schlussfolgerungen in dieser Hinsicht und auf einige kurze  Empfehlungen, wie die marxsche Geschichtskonzeption am besten an unerfahrene Genossinnen vermittelt werden kann.


Einer der ersten Punkte, der im Kurs mehrfach zur Sprache kam, war, dass es schwierig war zu verstehen, was genau Marx an bestimmten Personen (Feuerbach) oder Gruppen (den Linkshegelianern) kritisierte. In Bezug auf seine Geschichtsauffassung haben wir zunächst festgestellt, dass Feuerbachs materialistische Analyse des Menschen keine Geschichte hat und dass die Geschichtsauffassung der Linkshegelianer idealistisch ist. Nun betont Marx, dass die Geschichte auf dem Materialismus beruht und dass der Materialismus eine Geschichte haben muss.

Welche Kategorien verwendet Marx in seiner materialistische Geschichtsauffassung?

Der zweite Punkt bestand in Fragen, wie Marx die Kategorie des Menschen im Kapitalismus oder allgemein analysiert oder warum er seine Analyse mit allgemeinen Produktionsformen beginnt und mit einer Schlussfolgerung über die kapitalistische Produktionsweise beendet? Wir werden diese Punkte mit der Frage nach dem „Verortung“ von Marx zusammenfassen.

Doch bevor wir diese Frage beantworten können, müssten wir erst einmal festlegen, welche Kategorien Marx verwendet, um seine materialistische Geschichtsauffassung zu entwickeln. Nämlich eine „übergeschichtlich-abstrakte“, eine „konkret-historisch variable“ und eine „konkrete“-Kategorie.

Eine historisch-materialistische Analyse des Menschen

In dem Text legt Marx eine historisch-materialistische Analyse des Menschen vor. Wenn er also feststellt, dass die Menschen produzieren, in einer Gesellschaft leben und ein Bewusstsein haben müssen, um eine Geschichte zu haben (abstrakte Produktionsweise), befinden wir uns in der ersten Kategorie. Wenn er uns zeigt, dass sich die feudalistische Produktionsweise von der kapitalistischen Produktionsweise unterscheidet, befinden wir uns in der zweiten Kategorie, und wenn er die konkrete kapitalistische Produktionsweise analysiert, in der dritten.  Wir sehen hier, dass die Produktionsweise in drei verschiedenen Kontexten erscheinen kann, weshalb die Erklärung der „Verortung“ von Marx in seinen Analysen eine Voraussetzung dafür ist, die inhaltlichen Fragen beantworten zu können.

Nachdem diese Struktur herausgearbeitet war, konnten wir uns mit einem neuen Problemfeld beschäftigen, nämlich der Marx’schen Dialektik; Fragestellungen wie z.B. warum die Arbeiterklasse eine revolutionäre Funktion hat, warum Marx von einer Auflösung der Klassengesellschaft ausgeht oder warum die Geschichte mit der Arbeitsteilung beginnt, konnten wir erklären, indem wir uns auf die Marx’schen Erklärungen zum Bewegungsablauf der Geschichte konzentrierten.

Hierfür war es ebenfalls nützlich, die dreigliedrige Struktur zu verwenden. Auf einer „überhistorischen“ Ebene zeigt sich, dass die Arbeitsteilung Widersprüche innerhalb der Produktionsweise hervorruft, die zum Entstehen von Klassen (den gesellschaftlichen Akteuren der Geschichte) führen. Die Notwendigkeit, diese Widersprüche zu lösen, treibt die Geschichte voran und provoziert so die Entstehung neuer Produktionsweisen. Auf einer „konkret-historisch variablen“ Ebene vergleicht Marx spezifische Formen der Arbeitsteilung, ihre Widersprüche und ihre Klassen, so können wir sehen, dass auf der konkreten Ebene des Kapitalismus die Arbeitsteilung Privateigentum bedeutet, dass es Menschen gibt, die arbeiten/produzieren müssen, während andere für sich selbst Genuss und Konsum vorbehalten, und diese beiden sozialen Akteure nennt Marx die Arbeiterklasse und die Kapitalistenklasse.

Das "doppelte Verhältnis des Lebens"

Die Dialektik verdeutlicht auch, dass diese Ebenen nicht scharf voneinander getrennt sind, sondern dass sie sich gegenseitig beeinflussen und dass diese „Bewegung“ in eine Richtung geht (Fortschritt), die zur Auflösung der Klassen führen wird. Hier ist es wichtig, noch einmal daran zu erinnern, dass Marx eine materialistische Geschichtsauffassung hat und dass dieser Fortschritt in diesem Sinne nicht automatisch erfolgt, sondern von den gesellschaftlichen Akteuren realisiert werden muss.

Ein letzter Aspekt der Auseinandersetzung mit dem Text, der sich als problematisch erwies, war zu verstehen, warum Marx die Kategorie des Menschen selbst auf verschiedenen Ebenen analysiert. Für Marx hat das Leben zwei Aspekte, einen natürlich-biologischen und einen sozialen Aspekt. Wir werden dies das „doppelte Verhältnis des Lebens“ nennen. Dieses Verhältnis ist eine überhistorische Tatsache, die in ihren jeweiligen konkreten historischen Zusammenhängen analysiert werden muss. Um bestimmte Produktionsweisen zu verstehen, müssen wir uns dieses Verhältnis stets vor Augen halten. Einerseits muss der Mensch z.B. genug essen und trinken, um arbeiten zu können, und in diesem Sinne hängt die gesellschaftliche Produktion von diesen biologischen „Zwängen“ ab. Auf der anderen Seite hat unsere besondere Produktionsweise ein spezifisches Verhältnis zur Natur. Im Kapitalismus zum Beispiel wird die Natur zerstört, um höhere Profite zu erzielen.

Empfehlungen für die Arbeit mit Marx-Texten

Indem wir diese drei Aspekte (historische Struktur, Dialektik und materielles Leben) des historischen Materialismus analysieren, können wir eine Matrix erstellen, die uns hilft zu verstehen, auf welcher Ebene und unter welchem Aspekt Marx gerade arbeitet. Dies war besonders nützlich, um die inhaltlichen Fragen einzugrenzen und genauer zu beantworten.

Außerdem haben wir einige praktische Empfehlungen für die Arbeit mit Marx-Texten:

Sich an den Text halten: Bei der Erläuterung marxistischer Konzepte ist die Versuchung groß, sich auf andere Texte und Autoren zu beziehen. Wenn dies jedoch nicht notwendig ist, haben wir festgestellt, dass es produktiver ist, auf der Grundlage des Textes zu arbeiten. Besonders für Menschen, die Marx zum ersten Mal lesen, können diese zusätzlichen Erklärungen überwältigend sein.

Kontextualisierung ist wichtig: Es ist wichtig, den historischen Kontext zu kennen, in dem Marx sich befand, und zu wissen, wer die Leute waren, die er kritisierte. Das hat es uns leichter gemacht, den Text gemeinsam zu verstehen.

Suche nach konkreten Beispielen und Austausch von Ideen: Marx schreibt über konkrete Dinge, daher ist es immer nützlich, konkrete Beispiele zu verwenden, um ihn zu erklären. Was genau eine Produktivkraft ist, gab Anlass zu einem regen Austausch in unserer Gruppe, der die verschiedenen Dimensionen dieser Kategorie verdeutlichte.

  1. Marx, Karl/Engels/Friedrich: Feuerbach, Textfragment. Deutsche Ideologie. Manuskripte und Drucke. In: MEGA2, Band 1/5. Berlin/Boston 2017, S.3-67. ↩︎