Engels und der Anti-Dühring

Referat gehalten von Herbert Münchow am 9.11.2025, im Rahmen des Modul 7 (Kampf in Bismarcks Reich). Hinweis: In diesem Text wurden Fragen und Hinweise aus der Diskussion berücksichtigt und ergänzt. Er ist deshalb umfangreicher als das aufgezeichnete Referat. Das Referat wurde auch auf Youtube veröffentlicht. Hier auch der Vortrag als PDF zum Download:

 

Liebe Genossinnen und Genossen!

Nachdem ich hier schon einmal über die Entstehung des „Kommunistischen Manifestes“ sprechen durfte, habe ich nun Gelegenheit, wieder zu euch zu sprechen. Ich knüpfe mit meinem Vortrag an eure Vorlesung vom 19. Oktober an, die Vorlesung zu Bismarck. Ebenso kann ich wohl anknüpfen an einige Zirkelveranstaltungen, die schon gelaufen sind.

Wir wollen heute über ein Werk des Marxismus sprechen, von dem Lenin sagte, es gehöre zu den Handbüchern jedes klassenbewussten Arbeiters (LW 19/4). Es handelt sich also um ein Werk, das einen besonderen Platz in der Geschichte des Marxismus einnimmt. Gemeint ist der „Anti-Dühring“ von Friedrich Engels (und wir dürfen ergänzen, unter Mitarbeit von Karl Marx, der Material sammelte, dem Engels das Manuskript vorgelesen hat und der das X. Kapitel zur Geschichte der politischen Ökonomie verfasste). Genauer Titel: „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft. Philosophie. Politische Ökonomie. Sozialismus“. In der DDR fanden mehrere wissenschaftliche Konferenzen zum „Anti-Dühring“ statt. Sie alle bestätigten Lenins Einschätzung: In diesem „erstaunlich inhaltsreichen und lehrreichen Buch … werden die tiefsten Probleme der Philosophie, der Natur- und Gesellschaftswissenschaft untersucht.“ (LW 2/11)

Als Buchausgabe in erster Auflage ist der „Anti-Dühring“ 1878 in Leipzig erschienen und wurde ausführlich im „Vorwärts“ dem Zentralorgan der dt. Sozialdemokratie rezensiert. Zuvor wurde er stückweise als Artikelfolge ab Juli 1877 in dessen wissenschaftlicher Beilage bzw. in der allgemeinen Beilage veröffentlicht. Ende Oktober 1878 trat das „Sozialistengesetz“ bis 30.9.1890 in Kraft, auf deren Grundlage der „Anti-Dühring“ am 2.12.1878 verboten wurde. 1935 brachte anlässlich des 40. Todestages von Friedrich Engels die Sowjetunion den „Anti-Dühring“ mit allen Vorarbeiten in einem Sonderband der MEGA heraus. 1946 wurde der „Anti-Dühring“ in seiner achtzehnten deutschen Ausgabe publiziert. In der DDR wurde das Buch allein bis 1978, also 100 Jahre nach seinem Erscheinen – fast ebensovielmal herausgegeben, wie in der gesamten Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung zuvor. Es erschien in dieser Zeit in fast 600 000 Exemplaren. Die „Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ sogar in 1 775 000 Exemplaren.

Der „Anti-Dühring“ steht in einer Reihe mit dem „Kommunistischen Manifest“ und dem „Kapital“. Wer ihn schon einmal von der ersten bis zur letzten Seite gelesen hat, wird mir sicherlich zustimmen. Karl Kautsky meinte: Es gibt kein Buch, „das für das Verständnis des Marxismus so viel geleistet hätte, wie dieses. Wohl ist das Marxsche ‚Kapital‘ gewaltiger. Aber erst durch den ‚Anti-Dühring‘ haben wir das ‚Kapital‘ richtig lesen und verstehen gelernt.“ (F. Engels, Briefwechsel mit Karl Kautsky, 2. Auflage, Wien 1955, S. 4) Lenin hat recht: „Man kann den Marxismus nicht verstehen und nicht in sich geschlossen darlegen, ohne sämtliche Werke von Engels heranzuziehen.“ (LW 21/80) Der „Anti-Dühring“ erwarb sich den Rang einer Enzyklopädie des Marxismus. Er war „Ratgeber und Wegweiser“ in einem. In der „Neuen Zeit“ sprach Bernstein davon, dass „der Sozialismus ein Lehrbuch ersten Ranges“ erhalten hat. (Neue Zeit, 1894/1895, Bd.1, Nr.5, S.143) Noch zu Lebzeiten von Friedrich Engels gab er aber auch zu, den „Dühring-Kultus“ unter einer Reihe von Genossen besonders stark befördert zu haben. (M. Kliem, S. 497 f)

Auch heute ist der „Anti-Dühring“ als unentbehrliches und aktuelles Handbuch des Marxismus zu verstehen.

Woraus ergibt sich die historische Wirkung und aktuelle Bedeutung des „Anti-Dühring“? (Sechs Gesichtspunkte)

  1. Der „Anti-Dühring“ ist die erste Gesamtdarstellung des Marxismus, in der der Systemzusammenhang und die wechselseitige Durchdringung seiner Quellen und Bestandteile aufgezeigt wurde – die logische Struktur und innere Einheit der kommunistischen Weltanschauung. Eugen Dühring hatte es unternommen, den Marxismus vollständig zu revidieren. Er sah sich als „Reformator des Sozialismus“ und war der Meinung, dass man „seinen Standpunkt als einen konsequent kommunistischen … anerkennen müsse.“ (Bracke an Engels, 2.8.1876) Wir kennen eine solche Anmaßung bereits von den „wahren Sozialisten“. Engels’ Polemik gegen Dühring schlug um „in eine mehr oder minder zusammenhängende Darstellung“ der von Marx und ihm „vertretenen dialektischen Methode und kommunistischen Weltanschauung, und dies auf einer ziemlich umfassenden Reihe von Gebieten.“ (MEW 20/8)
  1. Engels arbeitet im „Anti-Dühring“ vor allem jene Positionen heraus, die den qualitativen Unterschied kennzeichnen zwischen dem wissenschaftlichen Sozialismus und jeglichen unwissenschaftlichen Sozialismusvorstellungen. Das Studium des „Anti-Dühring“ vertieft unser Wissen über die Grundlagen, die Struktur und die Funktion des Marxismus. Er zeigt, inwiefern alle drei Bestandteile durch die weltanschaulich-theoretische Begründung der historischen Mission der Arbeiterklasse untrennbar miteinander verbunden sind.
  1. Engels entwickelt im „Anti-Dühring“ die materialistische Dialektik umfassend und durchgehend als Theorie und Methode der Weltanschauung der Arbeiterklasse. Dabei kam ihm zu Hilfe, dass er seit 1873 intensiv an der „Dialektik der Natur“ arbeitete. Hier ist bereits im Keim enthalten, was wir später bei Lenin in seinem Artikel „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus“ (LW 33/213ff) entwickelt finden, das Bündnis von Marxismus, von Gesellschaftswissenschaften und Naturwissenschaften.
  1. Der Klassenkampf ist, um mit Engels zu sprechen, „nach seinen drei Seiten hin – nach der theoretischen, der politischen und der praktisch-ökonomischen (Widerstand gegen die Kapitalisten) – im Einklang und Zusammenhang und planmäßig“ zu führen … Es wird namentlich die Pflicht der Führer sein, sich über alle theoretischen Fragen mehr und mehr aufzuklären, sich mehr und mehr von dem Einfluss überkommener, der alten Weltanschauung angehöriger Phrasen zu befreien und stets im Auge zu behalten, dass der Sozialismus, seitdem er eine Wissenschaft geworden, auch wie eine Wissenschaft betrieben, d.h. studiert werden will. (MEW 18/516f)
  1. Der „Anti-Dühring“ ist ein Musterbeispiel der Polemik. Treffend endet seine Einleitung mit dem Satz: „Hiernach ersterben wir in tiefster Ehrerbietung vor dem gewaltigen Genius aller Zeiten – wenn sich das alles nämlich so verhält.“ (MEW 20/31) Na eben, WENN SICH DAS ALLES SO VERHÄLT! Es geht also bei der Polemik auch heute um die Frage: Ob es sich so verhält? Die Polemik schlechthin steht somit nicht im Vordergrund der Erwiderung, sondern die Aufdeckung der objektiven Wahrheit.
  1. Innerhalb des zur Zeit des „Anti-Dühring“ noch aufsteigenden Kapitalismus zeichnete sich die Herausbildung von Monopolen ab, die in die Entwicklung des Imperialismus mündete. Die Entwicklung des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium verändert die Rolle der Gewalt in der Geschichte. Diese Wandlungen wurden von Engels in ihren Anfängen begriffen und im Streit mit Dühring erforscht.

Eine populäre, von der Polemik „bereinigte“ Fassung des „Anti-Dühring“ stellt Friedrich Engels’ Schrift „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ dar. Sie ist entstanden aus drei Kapiteln des „Anti-Dühring“. Engels stellte die Schrift zusammen auf Bitte von Paul Lafargue als marxistische Propagandaschrift für die junge französische Arbeiterpartei. Bei ihrer Erstveröffentlichung trug sie den Titel „Der utopische und der wissenschaftliche Sozialismus“. Zusätze zu dieser Schrift von Engels wurden in spätere Auflagen des „Anti­-Dühring“ übernommen. Aufgrund des großen Erfolgs und einer Anfrage der Redaktion des Züricher „Sozialdemokrat“ nach neuen Propagandabroschüren folgte eine deutsche Ausgabe. Marx bezeichnete Engels’ Broschüre als „eine Einführung in den wissenschaftlichen Sozialismus“ (MEW 19/185)

Das vernichtende Urteil von Friedrich Engels über Dühring lautete letztlich: „Unzurechnungsfähigkeit aus Größenwahn“. Oder: „Mit Herrn Dühring bin ich nun … glücklich fertig, und wünsche mir in dieser Welt nichts mehr von seinem werten Umgang. Welch aufgeblasener Ignorant!“ (Engels an Bracke, 30.4.1878)

Genug der Vorrede! Ich werde im Weiteren zu zwei Themen sprechen:

  1. Entstehungsbedingungen
  2. Hauptgedanken
  1. Zu den Entstehungsbedingungen des „Anti-Dühring“

Wir befassen uns mit den Entstehungsbedingungen des „Anti-Dühring“, um die Problemsituation kennenzulernen, der das Werk, das für die Arbeiterbewegung geschrieben wurde, seine Existenz und seine Wirkung verdankt. Es leitet uns kein abgewandter reiner Historismus. Für die vielen wichtigen Details reicht die Zeit ohnehin nicht. Aber es sollte klar werden: Der „Anti-Dühring“ war kein Gelegenheitswerk! Für das Detailstudium empfehle ich einen Artikel von Horst Ullrich und Inge Werchan: „Die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des ‚Anti-Dühring‘ (1876-1895)“ in: 100 Jahre „Anti-Dühring“ – Marxismus, Weltanschauung, Wissenschaft, Akademie Verlag, Berlin 1978.

Friedrich Engels arbeitete fast zwei Jahre, von Ende 1876 bis Anfang Juli 1878 sehr intensiv und mit gründlichen Vorstudien an der Streitschrift gegen Dühring. In der ersten Vorrede zur ersten Buchausgabe schildert er die Entstehungsgeschichte des „Anti-Dühring“. Die „Frucht eines inneren Dranges“ (MEW 20/5) sei die Arbeit nicht gewesen, war Engels doch von den Studien zur „Dialektik der Natur“ ganz in Anspruch genommen. Er unterbrach auf Drängen von Wilhelm Liebknecht und nach eingehender Beratung mit Marx, der am „Kapital“ weiterarbeiten musste, seine, wie dieser meinte, „ungleich wichtigere Arbeit“ (MEW 34/209) an der „Dialektik der Natur“. Im Sommer 1874 hatten Marx und Engels in Briefen an Liebknecht, Blos und Hepner von sich aus auf die Gefahr der „Dühringerei“ hingewiesen. Seit Anfang 1868, seit Dühring eine Rezension zum „Kapital“ Bd. I veröffentlichte, verfolgten sie seine Arbeiten. Es hieß also aus Pflicht der Partei gegenüber in den „sauren Apfel zu beißen“. Und er musste ganz verzehrt werden. Einen ersten Seitenhieb versetzte Engels Dühring in dem Artikel „Preußischer Schnaps im deutschen Reichstag“, der 1876 im „Vorwärts“ erschien. Er bezeichnete Dühring als „neuesten Adepten und zugleich Regenerator des Sozialismus“. (MEW 19/45) Später erklärte Engels selbst, warum gerade ihm die Aufgabe, gegen Dühring und andere zu kämpfen, zugefallen war: „Infolge der Teilung der Arbeit, die zwischen Marx und mir bestand“ – schrieb Engels „fiel es mir zu, unsere Ansichten in der periodischen Presse, also namentlich im Kampf mit gegnerischen Ansichten, zu vertreten, damit Marx für die Ausarbeitung seines großen Hauptwerks Zeit behielt. Ich kam dadurch in die Lage, unsere Anschauungsweise meist in polemischer Form, im Gegensatz zu anderen Anschauungsweisen, darzustellen.“ (MEW 21/328) Er warf all sein Können, seine Erfahrungen und sein Wissen in die Waagschale, um der „Dühringseuche“ Einhalt zu gebieten. Engels hat Dühring später immer wieder als unbedeutenden Gegner und langweilig bezeichnet. Der wissenschaftliche Gehalt der Dühringschriften stehe im äußersten Missverhältnis zur Ausführlichkeit der Kritik, die er ihm im „Anti-Dühring“ angedeihen ließ.

Wie war das nun im Einzelnen?

Der „Anti-Dühring“ leitete eine ideologische Offensive des Marxismus ein. Vor allem aus zwei Gründen war dies notwendig. Erstens: Nach der Niederlage der Pariser Kommune begann eine neue Etappe der Entwicklung der Arbeiterbewegung. Ihr Merkmal war die Schaffung sozialistischer Massenparteien in vielen Ländern. Die Pariser Kommune hatte gezeigt, dass zur erfolgreichen Durchführung der proletarischen Revolution eine proletarische Partei erforderlich ist, die als Massenpartei fest auf den Positionen des wissenschaftlichen Sozialismus steht. Zweitens: Als Reaktion auf den ersten, mehr oder weniger zufälligen Versuch der Arbeiterklasse, ihre eigene Klassenherrschaft zu errichten, gingen die Ideologen der Bourgeoisie zum Frontalangriff auf den Marxismus als einheitliche, konsequent wissenschaftliche Weltanschauung über. Der ideologische Kampf verschärfte sich in dem Maße, wie die Arbeiterklasse auf der Grundlage der raschen Entwicklung des Kapitalismus sich ausweitete und die revolutionäre deutsche Sozialdemokratie trotz Terror und Verfolgung zu einer Macht wurde. Geschaffen auf dem Gothaer Kongress 1875, wuchs die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands zur stärksten Partei im Deutschen Reich (ca. 40 000 Mitglieder) heran und zur international bedeutendsten Arbeiterpartei, die sich auf marxistischer Grundlage zu organisieren suchte. Ab Oktober 1876 verfügte die Partei neben ihrem von da an erscheinenden „Vorwärts“ über 41 lokale Zeitungen mit rund 100 000 Abonnenten. Zu den Reichstagswahlen im Januar 1877 erhielt sie 9 % der Stimmen.

In der relativ friedlichen Periode von 1871 bis zur Jahrhundertwende veränderten sich mit dem beginnenden Übergang des Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus die Kampfbedingungen der Arbeiterklasse. Die Entwicklung der Produktivkräfte bewirkte eine zunehmende Konzentration des Kapitals, verbunden mit dem Anwachsen des Industrieproletariats und tiefgreifenden sozialökonomischen Differenzierungsprozessen in der Gesellschaft. Es  verschärften sich die kapitalistischen Widersprüche. Die Arbeiterbewegung wuchs „in die Breite“. Die Anforderungen an die Führung des Klassenkampfes nach seiner theoretischen Seite nahmen zu. Zwei besonders große Gefahren machten sich dabei bemerkbar: Der Zustrom kleinbürgerlicher Kräfte zur sozialistischen Bewegung und die Herausbildung einer „Arbeiteraristokratie“ gespeist von den Extraprofiten des Monopolkapitals. Diese allgemeinen internationalen Tendenzen wirkten besonders in Deutschland. Hierhin hatte sich der Schwerpunkt der europäischen Arbeiterbewegung verlagert. Die nationalen Kampfbedingungen wurden durch eine stürmische Entwicklung des Kapitalismus in Deutschland nach der bismarckschen Einigung des Reiches „von oben“ geprägt. Den „Gründerjahren“ folgte der „Gründerkrach“ – die schwere Wirtschaftskrise von 1873 bis 1878/1879, in der es zu einem neuen Aufschwung der Arbeiterbewegung kam.

Die Vereinigung der Eisenacher Partei mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein Lassalles war, wie ihr wisst, ein Kompromiss. Es galt, den Marxismus als theoretische Grundlage für die Strategie und Taktik der Arbeiterpartei weiter durchzusetzen, um die Arbeiterklasse zum geeinten und zielstrebigen Kampf gegen das Vordringen des Militarismus und die Ausbeutung der Werktätigen zu befähigen. Franz Mehring schätzte den damaligen Zustand der deutschen Sozialdemokratie folgendermaßen ein: „Jedoch die Rüstung der deutschen Sozialdemokratie hatte noch eine große Lücke: Ihre Praxis war ihrer Theorie weit vorausgeeilt, und für die schweren Kämpfe der nächsten Zukunft brauchte sie die Theorie ebenso notwendig wie die Praxis.“ (Mehring, Geschichte der dt. Sozialdemokratie, Berlin 1960, Bd. 2, S. 474) Im „Volksstaat“ erschien ein Artikel unter der Überschrift „Was wir brauchen“. Darin hieß es: „Die Herstellung einer Schrift, welche sozusagen ‚Das Ganze des Sozialismus‘ in Einem zusammenfasst, scheint uns … auch nach mancher Richtung hin, ein Bedürfnis.“ (Volksstaat – Leipzig, 5.11.1875) Dieses Bedürfnis nach einer verständlichen und zusammenhängenden Darstellung des wissenschaftlichen Sozialismus wurde allgemein empfunden. Hinzu kam, dass bürgerliche Ideologen versuchten, sich des Begriffs „Sozialismus“ zu bemächtigen. Marx geißelte solche Versuche mit den Worten: Man wolle dem Sozialismus eine „höhere, ideale“ Wendung geben, „d.h., die materialistische Basis (die ernstes und objektives Studium erheischt, wenn man auf ihr operieren will) zu ersetzen durch moderne Mythologie mit ihren Göttinnen der Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und fraternité“. (MEW 34/303) Wie Pilze schossen verschiedene sozialistische Systeme hervor. Franz Mehring beschrieb die Situation so: „Verkannte Erfinder und Reformer, Impfgegner, Naturheilärzte und ähnliche schrullenhafte Genies suchten in den arbeitenden Klassen, die sich so mächtig regten, die ihnen sonst versagte Anerkennung zu finden.“ (F. Mehring, Geschichte der dt. Sozialdemokratie, Berlin 1960, Bd. 2, S. 474) Hier kommt Dühring ins Spiel. Er trat mit „beträchtlichem Gepolter auf die Bühne“ (MEW 20/26) und fand zeitweilig beachtliche Resonanz, da er als mutiger und uneigennütziger Streiter für die Wahrheit galt. Aber sein Auftreten wurde für die noch junge und ungefestigte Sozialdemokratie eine ernste Gefahr in Deutschland.

Wer war dieser Dr. phil. Eugen Dühring (12. 1. 1833 – 21. 9. 1921) ?

Als Beamtenkind in Berlin geboren, in Waisenhäusern aufge­wachsen und von der preußischen Bürokratie gemaßregelter (Entzug der Lehrbefugnis 1877 wegen Kritik am Lehrbetrieb und Vertreibung als unbequemer „Linker“) in die Isolierung geratener Privatdozent an der Philosophischen Fakultät der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität (heutige Humboldt-Universität). Dühring war Jurist und habilitierte sich auf dem Gebiet der Philosophie und Nationalökonomie. Zum Zeitpunkt der Polemik gegen ihn war er schon seit einigen Jahren vollständig erblindet. Lenin schrieb, dass der „Anti-Dühring“ „… den Materialisten und Atheisten Dühring des inkonsequenten Materialismus überführt, dass er nachweist, wie Dühring der Religion und einer Religionsphilosophie Hintertürchen offenlässt.“ (LW 15/404) Wilhelm Liebknecht sagte, er sei „ein jämmerlicher Gernegroß“, der aber „seinen Größenwahn doch noch etwas zu kontrollieren versteht“. (M. Kliem, S.496) Dühring hatte drei Bücher verfasst: „Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Sozialismus“, „Cursus der National- und Socialökonomie einschließlich der Hauptpunkte der Finanzpolitik“, „Cursus der Philosophie als streng wissenschaftlicher Weltanschauung und Lebensgestaltung“. Sein ideologischer Einfluss auf die Arbeiterbewegung erklärt sich aus den neuen Kampfbedingungen, die durch den Übergang zum Imperialismus entstanden. Er erklärt sich auch durch sein persönliches Auftreten. Sogar „linksradikal“ zu sein, schrieb man ihm zu.

Dühring fand Anklang bei vielen Studenten. Selbst auf Wilhelm Bracke, dem Vertrauten von Marx und Engels, machte er den Eindruck „eines Mannes, der scharfen Verstand und reiche Kenntnisse mit aufrichtiger kommunistischer Gesinnung verbindet“. (M. Kliem, S. 497) August Bebel, der kein Dühringianer war, freute es, dass „ein Mann der strengsten Wissenschaft, der seiner Stellung nach zu den sogenannten ‚höheren‘ Klassen der Gesellschaft gehört, sich aus wissenschaftlicher Überzeugung auf gleichen Boden mit den vorgeschrittenen Bestrebungen der Arbeiterklasse stellt.“ (Volksstaat, 30/33, 13. und 20. 03. 1874) Dühring war beeindruckt von der Pariser Kommune. Er sah in ihr eine „die Welt erzittern machende, politische Katastrophe“ (Cursus der National- und Socialökonomie, Berlin 1873, S. VI) Bebel verstand das Herangehen an Dühring so, dass es darum ginge, dessen Arbeiten, die dem Sozialzustand scharf zu Leibe gehen, aus agitatorischen Gründen zu unterstützen und auszubeuten. Doch der theoretische Sinn, den er bei Dühring vermutete, war nicht vorhanden.

Eugen Dühring war kein Sozialdemokrat. Er lehnte die Parteibindung ab. Dühring fand Gehör bei einigen Funktionären der Berliner Parteiorganisation. Liebknecht und Bebel, der allerdings Dühring auch erst als „neuen Kommunisten“ vorgestellt hatte, fürchteten aber vor allem die Ausnutzung Dührings als Freibrief für alle antimarxistischen und kleinbürgerlichen Auffassungen in der Partei sowie darauf beruhende Aktionen. Unter der Flagge Dührings hatten sich auch rechts- und linksopportunistische Kräfte zusammengefunden. Die Marxismuskritik Dührings trug zusätzlichen Konfliktstoff in die SAP (so hieß die Partei seit der Vereinigung). Von Marx vermochte er nur mit Schaum vor dem Munde zu sprechen. Der Gothaer Allgemeine Sozialistenkongress 1876 machte dies besonders deutlich. Dührings Anhänger forderten hier zum ersten Mal, seine Ideen zur offiziellen Parteitheorie zu erheben. Auf das Parteiorgan, den „Volksstaat“ wurde entsprechend Druck ausgeübt. Der Sozialistenkongress im Mai 1877 setzte noch eins drauf. Johann Most, der zu den maßgeblichen Verteidigern des kleinbürgerlichen Sozialismus von Dühring gehörte, stellte den Antrag, dass Engels’ Aufsätze, deren Veröffentlichung gerade begonnen hatte, nicht mehr im Zentralorgan erscheinen sollten.

Das Ideengut des „Anti-Dühring“ setzte sich in der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands weder ohne Kampf noch schlagartig durch. Beim Erscheinen des philosophischen Teils kam es im Frühjahr 1877 zu heftigen Auseinandersetzungen. Die Dühringanhänger liefen Sturm gegen Engels. Eigentlicher Inspirator war Dühring selbst. Mit ihm wurden „halbreife Studiose“ wie „überweise Doctores“ auf ihr Schild gehoben, die immer dreister gegen den Marxismus wetterten. Es gab heftigen Widerstand, um die Veröffentlichung von Engels’ Auseinandersetzung mit Dühring im „Vorwärts“ zu hintertreiben. Liebknecht informierte Engels, dass die Dühringianer über seinen Ton erzürnt waren. Darauf Engels: „Sie haben’s gewollt, und sie werden ihr Fett reichlich wegbekommen, mein Wort darauf.“ (MEW 34/239)

Was beanspruchte Dühring gegenüber Marx?

  1. Eine völlig neue unhistorische „wurzelhafte Wissenschaft“ zu vertreten, „endgültige Wahrheiten letzter Instanz“ zu verkünden, die Leistungen früherer Denker ins Nichts zu verweisen. Alles in allem, der „verworrenen Nichtigkeit des Marxismus“ seine eklektische und metaphysische Theorie entgegenzusetzen.
  1. Die einzig wissenschaftliche Begründung der zukünftigen Gesellschaft gegeben zu haben. Den wissenschaftlichen Sozialismus, der auf dem dialektischen Materialismus beruht, bekämpfte Dühring bis aufs Messer. Sein Sozialismusbild war spekulativ und subjektivistisch. Dühring wurde gefeiert als Repräsentant eines „antiautoritären freiheitlichen Sozialismus“. Das Gesellschaftsideal Dührings war eine „Föderation von Wirtschaftskommunen“. Gesellschaftliches Gesamteigentum lehnte Dühring ab. In seiner Gesellschaftskonzeption bleibt die Konkurrenz der Produzenten bestehen, wie Engels nachweist. An die Stelle des ausbeutenden Kapitalisten tritt bei Dühring die ausbeutende Kommune.
  1. Dühring bekämpfte die materialistische Dialektik und stellte der marxschen Mehrwerttheorie längst widerlegte vulgärökonomische Postulate gegenüber – zum Beispiel: Der Wert der Ware würde durch den Arbeitslohn bestimmt. Insbesondere verdrehte er das Verhältnis von Politik und Ökonomie ins Idealistische.

Was Dühring beanspruchte und versprach, konnte er nicht halten. Er verschwand relativ schnell aus den Reihen der Sozialdemokratie. Dieser Ausstieg war durch den Umstand begünstigt, dass ab 1878 die Sozialdemokratie mittels des Sozialistengesetzes in die Illegalität gedrängt worden war. Ein späteres Wiederauftauchen von Dühring auf dem äußersten rechten Flügel der SPD ist hier ohne Bedeutung.

Der „Anti-Dühring“ fand auch durch die Verbreitung der Broschüre „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ rasche Aufnahme unter den Arbeitern. Aber die Propaganda allein war nicht ursächlich für den Erfolg, denn, wie Engels meinte: „eine ganz große Arbeiterklasse ist nicht durch Predigen in Bewegung zu setzen.“ (MEW 37/352) Natürlich spielte die Qualität der Propaganda eine große Rolle: Friedrich Engels besaß die Gabe, die theoretischen Fragen so darzulegen, dass die revolutionäre Bewegung in den Schlussfolgerungen des Marxismus „mehr und mehr den angemessenen Ausdruck ihrer Lage und Bestrebungen erkannte.“ (MEW 23/39) Jedoch Engels nannte – außer dem Sozialistengesetz – noch folgende Ursachen: die Existenz von Proletariern und rücksichtslosen wissenschaftlichen Theoretikern sowie einem interessierten Publikum. (MEW 20/9) Hintergrund des Erfolgs war das Wirken der gesellschaftlichen Verhältnisse und die Praxis des Klassenkampfes, die das Bedürfnis nach Aufklärung hervorbrachten. Wer sich umfassender informieren möchte, sei auf den Artikel von Herbert Schwab hingewiesen: „Bedingungen und Ursachen der raschen Verbreitung von Engels’ Schrift ‚Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft‘“ (Beiträge zur Marx-Engels-Forschung, Heft 9/1981, S. 95ff, herausgegeben von der Marx-Engels-Abteilung im Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED).

Ich komme nun zum zweiten Teil meines Vortrages.

  1. Hauptgedanken des „Anti-Dühring“

Es geht mir hier nicht darum, das Studium des „Anti-Dühring“ zu ersetzen oder jeden Abschnitt Absatz für Absatz zu behandeln. Ihr müsst das Buch selbst lesen, eingedenk des Hinweises von Hermann Duncker: „Ein Satz von Marx ist gemeinhin wichtiger und aufschlussreicher als zwanzig Sätze über ihn.“ (Einführungen in den Marxismus, Bd. I, S.15) Wen wundert es, dass Gegner des Marxismus den „Anti-Dühring“ auf die Anklagebank setzten? Durch Engels sei der Marxismus verflacht und dogmatisiert worden, wird von seinen Kritikern behauptet. Es zeige sich ein Gegensatz zwischen Marx und Engels. Dazu kann ich nur sagen: Erstens, Marx distanzierte sich nicht nur nicht von Engels’ Werk, sondern schrieb einem seiner Korrespondenten, er werde ihm ein Exemplar dieser Schrift, „die für eine richtige Einschätzung des deutschen Sozialismus sehr wichtig ist“, zukommen lassen. (MEW 34/346) Zweitens, bei Friedrich Engels und Karl Marx findet die kommunistische Weltanschauung niemals einen Abschluss im Sinne der Dühringschen „ewigen Wahrheit“. Engels selbst sagt, er habe nicht den Zweck verfolgt, „dem ,System’ des Herrn Dühring ein anderes System entgegenzusetzen.“ Auch für den „Anti-Dühring“ gilt, was Lenin in „Staat und Revolution“ sagt: „Die Lehre von Marx ist … eine von tiefer philosophischer Weltanschauung und reicher Kenntnis der Geschichte durchdrungene Zusammenfassung der Erfahrung“ (LW 25/419) Und an anderer Stelle heißt es: „Die ganze Theorie von Marx ist eine Anwendung der Entwicklungstheorie – in ihrer konsequentesten, vollkommensten, durchdachtesten und inhaltsreichsten Form – auf den modernen Kapitalismus. Es ist nur natürlich, dass sich für Marx die Frage nach der Anwendung dieser Theorie auch auf den bevorstehenden Zusammenbruch des Kapitalismus und die künftige Entwicklung des künftigen Kommunismus erhob.“ (LW 25/471) Engels betonte deshalb, dass Marx und er „keine feststehenden gebrauchsfertigen Vorschläge“ für die Zukunft zu unterbreiten hätten. „Unsere Ansichten über die Unterschiede zwischen einer künftigen, nichtkapitalistischen Gesellschaft und der heutigen, sind exakte Schlussfolgerungen aus den historischen Tatsachen und Entwicklungsprozessen und sind, wenn sie nicht im Zusammenhang mit diesen Tatsachen und dieser Entwicklung dargelegt werden, theoretisch und praktisch ohne Wert.“ (MEW 36/429)

Wie ging Engels an die Dühring-Kritik heran?

Ich sagte schon, dass der „Anti-Dühring“ eine ideologische Offensive des Marxismus eingeleitet hat, denn nach Gotha durchlief die deutsche Arbeiterbewegung einen widerspruchsvollen Wachstumsprozess. „Offensive des Marxismus“ bedeutete zunächst, den Einfluss Dührings zu brechen und die Partei zu stärken. Es erforderte, den dialektisch-materialistischen Charakter des Marxismus herauszuarbeiten und sein systematisches Studium zu erleichtern. Schließlich hieß es, dass mit der Einleitung einer neuen Etappe in der Aneignung des Marxismus durch die SAP auch eine Wende im Verständnis seiner Quellen eingeleitet wurde.

Am 28. Mai 1876 schreibt Engels an Marx: „Mein Plan ist fertig … Anfangs geh’ ich rein sachlich und scheinbar ernsthaft auf den Kram ein, und die Behandlung verschärft sich in dem Maß, wie der Nachweis des Unsinns auf der einen Seite, der Gemeinplätzlichkeit auf der anderen sich häuft, und zuletzt regnet’s dann hageldick … (Dühring) bekommt … sein Fett weg.“ (MEW 34/17f) So geschah es auch …

Das Vorwort zur zweiten Auflage

Es ist bekannt, dass Vorworte zu ihren Arbeiten für Marx und Engels eine große Bedeutung hatten. Im Vorwort zur Auflage des „Anti-Dühring“ von 1885 weist Engels darauf hin, dass Marx und er wohl die einzigen waren, „die aus der deutschen idealistischen Philosophie die bewusste Dialektik in die materialistische Auffassung der Natur und Geschichte hineingerettet hatten. Aber zu einer dialektischen Auffassung der Natur gehört Bekanntschaft mit der Mathematik und der Naturwissenschaft.“ (EA/10) Für Engels waren es neben der Astronomie und der Geologie vor allem drei große Entdeckungen, die die Kenntnis vom Zusammenhang der Naturprozesse mit Riesenschritten vorangetrieben haben: Die  Entdeckung der Zelle, die Verwandlung der Energie und der zuerst von Darwin im Zusammenhang entwickelte Nachweis, dass der uns umgebende Bestand organischer Naturprodukte, das Erzeugnis eines langen Entwicklungsprozesses aus wenigen ursprünglich einzelligen Keimen ist und diese wieder aus, auf chemischem Weg entstandenem, Protoplasma oder Eiweiß hervorgegangen sind. Engels beschäftigte sich mit der Kosmologie, äußerte sich zur Entstehung des Weltalls, des Sonnensystems, des Lebens usw. Kein Bereich, auf den er nicht einging, galt ihm doch die Natur als die Probe auf die Dialektik.

 Es zeigte sich, sagt Engels, „dass in der Natur dieselben dialektischen Bewegungsgesetze im Gewirr der zahllosen Veränderungen sich durchsetzen, die auch in der Geschichte die scheinbare Zufälligkeit der Ereignisse beherrschen; dieselben Gesetze, die, ebenfalls in der Entwicklungsgeschichte des menschlichen Denkens den durchlaufenden Faden bildend, allmählich den denkenden Menschen zum Bewusstsein kommen; die zuerst von Hegel in umfassender Weise, aber in mystifizierter Form entwickelt worden, und die aus dieser mystischen Form herauszuschälen und in ihrer ganzen Einfachheit und Allgemeinheit klar zu Bewusstsein zu bringen, eine unserer (seine und Marx – H.M.) Bestrebungen war.“ (EA/11) Im Weiteren macht Engels deutlich, dass von einer absoluten Unveränderlichkeit der Natur überhaupt keine Rede sein kann und dass der Drang zur theoretischen Verallgemeinerung und Durchdringung der empirisch gewonnenen Erkenntnisse aus der Entwicklung der Naturwissenschaften selbst erwuchs, um dann zur Bedeutung der materialistischen Dialektik in diesem Prozess festzuhalten: „jedenfalls ist die Naturwissenschaft jetzt so weit, dass sie der dialektischen Zusammenfassung nicht mehr entrinnt. Sie wird sich diesen Prozess aber erleichtern, wenn sie nicht vergisst, dass die Resultate, worin sich ihre Erfahrungen zusammenfassen, Begriffe sind: dass aber die Kunst, mit Begriffen zu operieren, nicht eingeboren und auch nicht mit dem gewöhnlichen Alltagsbewusstsein gegeben ist, sondern wirkliches Denken erfordert, welches Denken ebenfalls eine lange erfahrungsmäßige Geschichte hat, nicht mehr und nicht minder als die erfahrungsmäßige Naturforschung. Eben dadurch, dass sie sich die Resultate der dritthalbtausendjährigen Entwicklung der Philosophie aneignen lernt, wird sie einerseits jede aparte, außer und über ihr stehende Naturphilosophie los, andrerseits aber auch ihre eigne, aus dem englischen Empirismus überkommen, bornierte Denkmethode.“ (EA/15)

Inhaltliche Grundlinien des „Anti-Dühring“

Der „Anti-Dühring“ besteht aus einer in zwei Kapitel gegliederten Einleitung sowie den Hauptabschnitten „Philosophie“, „Politische Ökonomie“ und „Sozialismus“. Letzterer beginnt mit den zwei wichtigen Unterabschnitten „Geschichtliches“ und „Theoretisches“. Die Polemik zwang Engels, der Gliederung Dühring’s zu folgen. Aber immer dominiert die eigene positive Darlegung des Marxismus und der direkte Hinweis, dass es sich dabei vor allem um die Leistung von Marx handelt. In der Einleitung (erster Teil „Allgemeines“) arbeitet Engels die gesellschaftlichen und theoretischen Wurzeln des „modernen Sozialismus“ heraus. Bereits hier gibt er eine konzentrierte Zusammenfassung aller seit dem ersten Auftreten des reifen Marxismus mit dem „Elend der Philosophie“ und dem „Kommunistischen Manifest“ erreichten Ergebnisse der marxistischen Theorie. Den aktuellen Stand des Marxismus markierten zwei große Entdeckungen von Marx: die materialistische Geschichtsauffassung und die Enthüllung des Geheimnisses der kapitalistischen Produktion vermittels des Mehrwerts. „Mit ihnen wurde“, so Engels, „der Sozialismus eine Wissenschaft, die es sich nun zunächst darum handelt, in allen Einzelheiten und Zusammenhängen weiter auszuarbeiten.“ (EA/32) Den Inhalt der kommunistischen Weltanschauung entwickelt Engels im „Anti-Dühring“ folgerichtig und systematisch gemäß dem damaligen Stand der Natur- und Gesellschaftswissenschaften. Erstmalig begründete er den Standpunkt des Marxismus zu solchen Fragen wie der materiellen Einheit der Welt, dem Zusammenhang von Materie und Bewegung, von Raum und Zeit, zu den Grundgesetzen und Kategorien der materialistischen Dialektik, zur Klassifikation der Wissenschaften. Von bleibendem Wert sind auch die Ausführungen über den Gegenstand und die Kategorien der politischen Ökonomie, über die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen und die Grundzüge der kommunistischen Gesellschaftsformation.

Wir können hier natürlich nicht jeden Argumentationsstrang von Engels gegenüber Dühring verfolgen oder auf alle von ihm behandelten Probleme eingehen. In diesem Vortrag soll vor allem deutlich werden, dass es Engels hauptsächlich darum ging, das System der wissenschaftlichen Begründung des Sozialismus aufzuzeigen, den Sozialismus auf einen „realen Boden“ zu stellen. (MEW 19/201) Generell wollen wir aber festhalten, dass die Methode Dührings darin besteht, wie Engels ausführt, die „Eigenschaften eines Gegenstandes nicht aus dem Gegenstand selbst zu erkennen, sondern sie aus dem Begriff des Gegenstandes beweisend abzuleiten. Erst macht man sich aus dem Gegenstand den Begriff des Gegenstandes; dann dreht man den Spieß um, und misst den Gegenstand an seinem Abbild, dem Begriff. Nicht der Begriff soll sich nun nach dem Gegenstand, der Gegenstand soll sich nach dem Begriff richten … Die Wirklichkeitsphilosophie (so bezeichnete Dühring sein Vorgehen – H.M.) erweist sich also … pure Ideologie, Ableitung der Wirklichkeit nicht aus sich selbst, sondern aus der Vorstellung.“ (EA/115f)

Im Mittelpunkt des „Anti-Dühring“ steht die allseitige Begründung der historischen Mission der Arbeiterklasse – ihrer doppelten Befreiungsmission, wie sie schon im „Kommunistischen Manifest“ dargestellt wurde. Diese Begründung, die Aufdeckung der gesellschaftlichen Kraft, deren Aktion der Kommunismus ist, bildet den Hauptinhalt des wissenschaftlichen Sozialismus und den Kern des Marxismus. Demgemäß heißt es im „Anti-Dühring“: „Diese weltbefreiende Tat“ (die Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft und die Errichtung der kommunistischen Gesellschaft) „durchzuführen, ist der geschichtliche Beruf des modernen Proletariats. Ihre geschichtlichen Bedingungen und damit ihre Natur selbst zu ergründen, und so der zur Aktion berufenen, heute unterdrückten Klasse die Bedingungen und die Natur ihrer eignen Aktion zum Bewusstsein zu bringen, ist die Aufgabe des theoretischen Ausdrucks der proletarischen Bewegung, des wissenschaftlichen Sozialismus.“ (EA/354) Damit ist nicht nur der weltanschauliche Auftrag des Marxismus als Ganzes bestimmt, sondern insbesondere auch die soziale Funktion seines dritten Bestandteils, des wissenschaftlichen Sozialismus im engeren Sinn (wissenschaftlicher Kommunismus). Als sozial-politische Lehre mit der Theorie der Klassen und des Klassenkampfes als Kern übt er unmittelbar die Funktion der kommunistischen Weltanschauung aus, wie sie im „Anti-Dühring“ formuliert wurde, ist er deren soziale und politische Konsequenz. Friedrich Engels weist nach, dass die Entdeckung der weltgeschichtlichen Rolle der Arbeiterklasse eine bestimmte Reifestufe des Klassengegensatzes zwischen Proletariat und Bourgeoisie zur Voraussetzung hatte (ich erinnere an meinen Vortrag zur Geschichte des „Manifestes“). Zugleich zeigt er, dass diese Begründung ein Ergebnis des Zusammenwirkens aller drei Bestandteile des Marxismus ist. Es ist die „Konzeption der zwei großen Entdeckungen von Marx“ (Dlubek/Merkel), durch die Engels zeigt, wie der dialektische Materialismus in den geschichtsphilosophischen und ökonomischen Lehren des Marxismus seine Konkretisierung findet und diese die theoretischen Grundlagen des wissenschaftlichen Kommunismus bilden. Die Philosophie – der dialektische Materialismus – stellt das weltanschauliche Fundament des Marxismus dar und steht deshalb bei Engels am Anfang. Es ist der umfassendste Abschnitt mit zwölf Kapiteln. Wobei der „Anti-Dühring“ vor allem ein philosophisches Werk ist. Materialistische Philosophie und wissenschaftlicher Sozialismus sind untrennbar miteinander verbunden.

Zur Einheit von Materialismus und Dialektik

Friedrich Engels bewies, dass Dührings Philosophie ein „unendlich verseichter Abklatsch der Hegelschen Logik“ war, mit der er den Aberglauben teilte, dass die logischen Kategorien irgendwo ein geheimnisvolles Dasein führen vor und außer der Welt, auf die sie ‚anzuwenden‘ sind.“ (MEW 20/133) Demgegenüber vertrat er den Standpunkt des philosophischen Materialismus, indem er Dühring entgegnete: „… die Prinzipien sind nicht der Ausgangspunkt der Untersuchung, sondern ihr Ergebnis; sie werden nicht auf Natur- und Menschengeschichte angewandt, sondern aus ihnen abstrahiert; nicht die Natur und das Reich des Menschen richten sich nach den Prinzipien, sondern die Prinzipien sind nur insoweit richtig, als sie mit Natur und Geschichte stimmen. Das ist die einzige materialistische Auffassung der Sache, und die entgegenstehende des Herrn Dühring ist idealistisch.“ (MEW 20/33) Der „Weltschematik“ Dührings setze Engels entgegen, dass die wirkliche Einheit der Welt nicht in ihrem Sein, sondern in ihrer Materialität besteht. Der Begriff „Sein“ muss selbst erst im Sinne der Grundfrage der Philosophie bestimmt werden. Engels lehnte jede spekulative Philosophie ab, die sich neben oder über die Wissenschaften stellte, die die Welt aus dem Kopf konstruierte. Der „Anti-Dühring“ fordert eine wissenschaftlich begründete Philosophie. Auf der Einheit der Welt in ihrer Materialität gründet Engels die Einheit der Natur- und Gesellschaftswissenschaften. Es gibt kein starres, beziehungsloses Nebeneinander der verschiedenen Erscheinungen in Natur und Gesellschaft, sondern alle stehen objektiv miteinander in einem Gesamtzusammenhang. Die metaphysische Denkweise geriet in Widerspruch zum Erkenntnisfortschritt der Wissenschaften. Engels bestimmt die Dialektik somit als „die Wissenschaft von den allgemeinen Bewegungs- und Entwicklungsgesetzen der Natur, der Menschengesellschaft und des Denkens.“ (EA/173) Er weist die universelle Gültigkeit des dialektischen Gesetzes von der Einheit und dem Kampf der Gegensätze nach: Der dialektische Widerspruch existiert objektiv real und ist Quelle und Triebkraft aller Bewegung, Veränderung und Entwicklung. Objektiv real existiert auch das Gesetz des Umschlags von Quantität in Qualität und der Negation der Negation.

Moral, Recht, ewige Wahrheiten, Gleichheit, Freiheit – auf alle diese Fragen, die von Dühring aufgeworfen wurden und von grundlegender Bedeutung für die materialistische Begründung des wissenschaftlichen Sozialismus sind, geht Friedrich Engels – nicht allein veranlasst durch Eugen Dühring – ein. Dabei handelt es sich um Probleme, die Engels im Abschnitt „Sozialismus“ weiter vertieft. Halten wir kurz fest, was Engels dazu zu sagen hat:

  1. Dühring, der es fertigbringt, modellhaft eine Gesellschaft aus zwei Menschen zu konstruieren, behauptete, er habe „ewige Wahrheiten von Moral und Recht“ entdeckt. Die Dialektik von relativer und absoluter Wahrheit und damit das dünne Eis der „ewigen, endgültigen Wahrheit letzter Instanz“ hatte Engels schon behandelt, als er zu Moral und Recht überging. Er wies nach, dass Dührings „ewige“ Geltung von Moralauffassungen falsch ist. Der Gegensatz von Gut und Böse „bewegt sich ausschließlich auf moralischem, also auf einem der Menschengeschichte angehörigen Gebiet, und hier sind die endgültigen Wahrheiten letzter Instanz gerade am dünnsten gesät. Von Volk zu Volk, von Zeitalter zu Zeitalter haben die Vorstellungen von Gut und Böse so sehr gewechselt, dass sie einander geradezu widersprachen. – Aber, wird jemand einwerfen, Gut ist doch nicht Böse, und Böse nicht Gut; wenn Gut und Böse zusammengeworfen werden, so hört alle Moralität auf, und jeder kann tun und lassen was er will. – Dies ist auch“, sagt Engels, “aller Orakelhaftigkeit entkleidet, die Meinung des Herren Dühring.“ (EA/112) Alle Moraltheorie, weist Engels umfassend nach, ist letztlich das Erzeugnis der jedesmaligen ökonomischen Gesellschaftslage. Und wenn sich die Gesellschaft in Klassengegensätzen bewegt, kann die Moral nur Klassenmoral sein, hat sie Klassencharakter. Unter bestimmten Bedingungen können verschiedene Klassen oder Teile von ihnen dem Inhalt nach gleiche Moralnormen haben. Für diese Ausnahmesituation kann die Sicherung des Friedens als Beispiel angeführt werden. Eine wirklich menschliche Moral wird erst möglich auf einer Gesellschaftsstufe, „die den Klassengegensatz nicht nur überwunden, sondern auch für die Praxis des Lebens vergessen hat.“ (MEW 20/88)
  1. In Dührings „System des Sozialismus“ nahm der Problemkreis der Gleichheitsforderung einen bedeutenden Platz ein. Generell ist ihre agitatorische Rolle in der sozialistischen Bewegung bis heute erheblich. Nachdem Engels die Behauptung Dührings, dass die Grundform der moralischen Gerechtigkeit in der völligen Gleichheit zweier menschlicher Willen besteht, erledigt hat, zeigt er, dass die Arbeiterklasse nicht bei dem formal-juristischen Inhalt der Gleichheitsforderung der Bourgeoisie stehenbleiben kann. Sie ist dazu gezwungen, die wirkliche soziale und ökonomische Gleichheit zu fordern. Inhalt der proletarischen Gleichheitsforderung kann nur sein, „die Forderung nach Abschaffung der Klassen.“ (MEW 20/99) Die Forderung nach Gleichheit ist ein Produkt der Bedingungen, unter denen Klassen existieren, aber keine „ewige Wahrheit“. Zwischen Idee und gesellschaftlicher Realität ist genau zu unterscheiden.
  1. Dühring philosophiert über Willensfreiheit. Das Ergebnis fasst Engels mit den Worten zusammen: „Durchschnitt zwischen Einsicht und Trieb, Verstand und Unverstand“ (MEW 20/105) Materialistisch an Hegel anknüpfend („Einsicht in die Notwendigkeit“) zieht Engels aus dem Unterschied zwischen von „blinder“ und „begriffener“ Notwendigkeit den Schluss, dass die marxistische Freiheitsauffassung besagt: „Nicht in der geträumten Unabhängigkeit von den Naturgesetzen liegt die Freiheit, sondern in der Erkenntnis dieser Gesetze und in der damit gegebenen Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirken zu lassen.“ (MEW 20/105) Freiheit ist ein Produkt der geschichtlichen Entwicklung. Der „Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit“ erfordert einen Gesellschaftszustand, „worin es keine Klassenunterschiede, keine Sorgen um die individuellen Existenzmittel mehr gibt und worin von wirklicher menschlicher Freiheit … zum erstenmal die Rede sein kann.“ Allein mithilfe gewaltiger Produktivkräfte wird er möglich. (MEW 20/107)

Zur Dialektik von Ökonomie und Politik

„Die tiefgründigste, umfassendste und detaillierteste Bestätigung und Anwendung der Theorie von Marx ist seine ökonomische Lehre“, heißt es bei Lenin. (LW 21/48) Ich nehme an, ihr kennt das Zitat – mit Marx’ „Kapital“ habt ihr euch schon beschäftigt. Damit sind wir beim Kern der materialistischen Begründung des Sozialismus als Wissenschaft und als Gesellschaftsordnung. Friedrich Engels erläutert im zweiten Abschnitt des „Anti-Dühring“, dass die politische Ökonomie eine historische Wissenschaft ist und wie bei der Analyse der kapitalistischen Produktionsweise die materialistische Geschichtsauffassung angewandt wird. Er kann sich dabei auf die Erkenntnisse aus Marx’ „Kapital“ stützen. Nach der Bestimmung des Gegenstandes und der Methode der politischen Ökonomie legt er dar, dass dieser Bestandteil hauptsächlich dadurch zur Begründung der historischen Mission der Arbeiterklasse beiträgt, indem er die Dialektik der kapitalistischen Produktionsweise und die Entwicklung ihrer inneren Widersprüche untersucht. Die dialektisch-materialistische Geschichtsauffassung erklärte die Geschichte als einen durch die materielle Produktion bestimmten Prozess. Als Triebkraft dieses Prozesses erwies sich der Klassenkampf. Die tiefste Begründung für die Gesetzmäßigkeit der Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus geschah durch die Aufdeckung des ökonomischen Bewegungsgesetzes des Kapitalismus. Mit der Entdeckung des Mehrwertgesetzes verbreitete sich helles Licht über das Wesen der kapitalistischen Ausbeutung. Der Hergang sowohl der kapitalistischen Produktion wie der Produktion von Kapital aus rein ökonomischen Gründen war erklärt.

Dühring betrachtete die Gesetze von Produktion und Austausch als „ewige Naturgesetze“, aus der „Natur des Menschen“ abzuleiten. Engels weist nach, dass Dühring gravierende Fehler begeht, die seiner idealistischen Geschichtsauffassung entsprechen. Erstens abstrahiert er von der gesellschaftlichen Realität. Zweitens erklärte er die sozialökonomischen Missstände der Ausbeutergesellschaft als eine Folge der Einmischung des Staates. Drittens trennte Dühring Produktion und Austausch von der Verteilung. In der Konsequenz bedeutet das, die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution zu leugnen. Engels hingegen zeigt, „dass eine Umwälzung der Produktions- und Verteilungsweise stattfinden muss, die alle Klassenunterschiede beseitigt, falls nicht die ganze moderne Gesellschaft untergehen soll“. (MEW 20/146f)

Eugen Dühring, der eine spezielle Gewaltstheorie entwickelte, wies der Gewalt den Rang einer „Tatsache erster Ordnung“ zu. Das „Primitive“ – im Sinne Dührings das Grundlegende – müsse „in der unmittelbaren politischen Gewalt und nicht erst in einer indirekten ökonomischen Macht gesucht werden“. Das, so Engels, stelle die Dinge auf den Kopf. Anknüpfend an Dührings Versuch, das Primäre der Gewalt am Beispiel des Verhältnisses von Robinson Crusoe zu Freitag darzustellen, kommt er zu dem Ergebnis: „Das kindliche Exempel also, das Herr Dühring eigens erfunden hat, um die Gewalt als das ‚geschichtlich Fundamentale‘ nachzuweisen, es beweist, dass die Gewalt nur das Mittel, der ökonomische Vorteil dagegen der Zweck ist.“ (EA/194f) Im Folgenden skizziert Engels dann die Entwicklung der Gewalt als Mittel zur Erzielung ökonomischer Vorteile. Er betrachtet sie also nicht als wirkungslos. Sie hat Zustände geschaffen, die die weitere Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise förderten. Von höchst aktueller Bedeutung ist der Nachweis der bestimmenden Rolle der Ökonomie im Militärwesen bzw. für die Rüstungsproduktion. Engels legt hier wichtige Grundlagen für die Analyse und Bekämpfung des Militarismus. Er weist auch nach, dass der Militarismus Keime des eigenen Untergangs in sich trägt: durch den ökonomischen Ruin der kapitalistischen Staaten infolge der Rüstung und die allgemeine Wehrpflicht, die das Volk im Gebrauch der Waffen übt. (Zu dieser Frage empfehle ich euch einen Artikel von Manfred Sohn, Militarismus verschlingt Europa, UZ v. 17. Januar 2025) In der Polemik gegen Dühring’s Behauptung, dass die Herrschaft des Menschen über den Menschen immer schon bestanden hätte, beantwortet Engels mittels historischer Analyse die Frage, wie politische Gewalt und Unterdrückung entstanden sind. Er schildert die Auflösung des alten Gemeinwesens und legt die Fortentwicklung der Klassengesellschaften bis hin zum Kapitalismus dar. Auf die Ökonomie, so Engels, kann die Politik in zwei Richtungen wirken:

  1. a) sie fördert und beschleunigt die ökonomische Entwicklung, wenn ihre Ziele mit dieser übereinstimmen, b) sie hemmt diese Entwicklung, wenn objektive Erfordernisse ignoriert werden und erliegt dann vor ihr.

Engels weist darauf hin, dass die Gewalt auch eine revolutionäre Rolle in der Geschichte spielen kann – als Geburtshelfer einer alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht.

Nachdem die Dialektik von Ökonomie und Politik so grundsätzlich geklärt wurde, behandelt Engels nunmehr das Wesen der kapitalistischen Ausbeutung. Das Kapital erweist sich als ein gesellschaftliches Verhältnis, der Mehrwert erklärt sich aus rein ökonomischen Tatsachen und Zusammenhängen, ohne Zutun von Gewalt.

Wir kommen nun zu dem sehr bedeutenden Abschnitt „Sozialismus“. Engels knüpft hier an die Einleitung an, beschreibt die geschichtliche Entwicklung des Sozialismus, stellt das Theoriegebäude des wissenschaftlichen Sozialismus vor und vertieft in seiner Polemik gegen Dühring die Argumente aus den ersten beiden Abschnitten.

Kritisch-utopischer Sozialismus – Vorgänger und Quelle des wissenschaftlichen Sozialismus

Wer von euch den „Anti-Dühring“ schon einmal gelesen hat, weiß, dass Engels – wie auch Marx – die großen sozialistischen Vorgänger des Marxismus besonders würdigt. „Dem unreifen Stand der kapitalistischen Produktion, der unreifen Klassenlage entsprachen unreife Theorien“, die allerdings „geniale Gedankenkeime“ enthielten, schreibt Engels. Unreif vor allem deshalb, weil die Lösung der Widersprüche, die Beseitigung der Missstände, „aus dem Kopfe erzeugt werden“ sollte – als „Aufgabe der denkenden Vernunft“. (MEW 20/241) Warum aber erinnert Engels jetzt erneut an Saint-Simon, Fourier und Owen, deren Leistung er im Vorwort zur Neuauflage des „Deutschen Bauernkriegs“ von 1874 dem „Vorausgang der deutschen Philosophie, namentlich Hegels“ zur Seite stellt, „ohne den“, so heißt es dort, „der deutsche Sozialismus – der einzig wissenschaftliche, der je existiert hat – nie zustande gekommen“ wäre? (MEW 18/516) Das war nicht nur für das Verständnis des wissenschaftlichen Kommunismus nötig, sondern ergab sich auch daraus, dass nach der Pariser Kommune dies eine besonders wichtige Aufgabe im ideologischen Klassenkampf wurde. Rolf Dlubek und Renate Merkel schreiben: „In dem Maße, wie die Bourgeoisie zu einer reaktionären Klasse wurde, verleugnete sie die fortschrittlichen Ideen ihrer Aufstiegsperiode.“ (RD/RM/357) Entscheidend war aber, dass die neuen Spielarten des kleinbürgerlichen Sozialismus, die hinter die großen Utopisten zurückfielen, die zu ihrer Zeit so weit gingen, wie es möglich war, nicht bekämpft werden konnten, ohne den prinzipiellen Unterschied zwischen dem utopischen Sozialismus vor und nach Marx sowie die neue Qualität des wissenschaftlichen Sozialismus deutlich zu machen. Dühring gab die kritisch-utopischen Sozialisten der Lächerlichkeit preis, er behauptete, „voraussetzungslos“ zu denken. Dieser Herr, der soziale Alchemie betrieb, stützte objektiv die kleinbürgerlichen Epigonen des Utopismus, die die Grundfesten des Kapitalismus nicht antasten wollten und fiel, wie diese, in allen entscheidenden Punkten hinter die großen Utopisten zurück. August Bebel hatte das anfangs, wie schon erwähnt, auch stark unterschätzt. Engels stellte bei den kritisch-utopischen Sozialisten jene materialistischen und dialektischen Elemente heraus, die entscheidend dazu beitrugen, dass sie den Kapitalismus einer prinzipiellen Kritik unterzogen und die wissenschaftliche Auffassung der kommunistischen Gesellschaft vorbereiten konnten. Die Aussagen der großen Utopisten über die künftige Gesellschaft wurden in der Prognose des Marxismus über den Kommunismus im dialektischen Sinn aufgehoben, bewahrt, konkretisiert und wissenschaftlich begründet.

Zu beachten ist außerdem: Zur Zeit des „Anti-Dühring“ machte sich noch eine deutliche Geringschätzung der Ideen der utopischen Sozialisten in der Arbeiterbewegung breit, was die Aneignung der Theorie erschwerte, handelte es sich doch um eine geistige Quelle des wissenschaftlichen Sozialismus. Das ging soweit, dass sogar in Reaktion auf die bürgerliche Stimmungsmache, Sozialismus sei immer Utopie, bestritten wurde, dass der moderne Sozialismus überhaupt Vorgänger hat. „Das Geschichtsbild der Arbeiter füllen“ damals „vornehmlich die Zeichnungen der realen Kämpfe des unterdrückten und ausgebeuteten Volkes aus, und der revolutionäre Inhalt der sie begleitenden Ideologie wird hauptsächlich insofern beachtet, als er … sich unmittelbar im Klassenkampf manifestiert und zur praktischen Aktion führt“, wie Joachim Höppner in seinem sehr zu empfehlenden Aufsatz „Engels’ ‚Anti-Dühring‘ und die Rezeption des utopischen Sozialismus in der SAPD“ schreibt – in: 100 Jahre „Anti-Dühring“, S. 157ff. Empfehlenswert auch sein Nachwort zu: August Bebel, Charles Fourier. Sein Leben und seine Theorien, Reclam Berlin 1978. Hier schildert Höppner die Situation so: „Die Organisation der Arbeiterklasse zur Massenpartei und der politische Tageskampf, die Agitation unter den breiten Schichten der noch wenig aufgeklärten Werktätigen und die Überwindung des Lassalleanismus und kleinbürgerlichen Demokratismus beanspruchen in diesen Jahren alle Kräfte.“ (Ebenda, s. 258)

Engels gab den Anstoß zur Umkehr. Das war notwendig, damit die junge Arbeiterpartei lernte, den Marxismus als Wissenschaft nicht nur selektiv anzuwenden, sondern als Ganzes zu beherrschen und sich zu eigen zu machen. Dies bedeutet auch, zu verstehen, was es heißt, dass es ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Bewegung gibt, dass die Praxis der proletarischen Bewegung gegenüber ihren eigenen materiellen Voraussetzungen und Bedingungen nicht gedanklich verabsolutiert werden darf.

Gesetzmäßigkeiten, Wesenszüge und Entwicklungslinien des Kommunismus

Im „Anti-Dühring“ wird der Nachweis geführt, dass der Sozialismus das gesetzmäßige Resultat der geschichtlichen Entwicklung und des Klassenkampfes ist. In diesem Zusammenhang nahm nach der Pariser Kommune und der Zerschlagung des sozialistischen Sektenwesens die Kritik einer bloß ethisch-moralischen Begründung des Sozialismus einen wichtigen Platz ein. Engels Darlegungen über die Klassengebundenheit von Moral- und Rechtsvorstellungen waren von grundsätzlicher Bedeutung für diese Kritik. Es traf nicht nur Dühring und Anhang, sondern auch die opportunistische Gruppierung der dt. Sozialdemokratie, die sich seit 1877 um die Zeitschrift „Zukunft“ sammelte. Verbreitet wurde ein Sozialismus, „der aus dem Begriff der ‚Gerechtigkeit‘ begründet werden sollte.“ (MEW 34/379) Das war „Gefühlssozialismus“ oder „wahrer Sozialismus“, wie ihr ihn aus der Zeit des „Manifestes“ schon kennt.

Dies alles bedeutet aber nicht, dass Engels dem moralischen Bewusstsein keine Bedeutung im Klassenkampf beimisst. In der „sittlichen Entrüstung“ sah er ein Symptom, keinen Beweisgrund. Ausführlich hat Engels das im Abschnitt über die politische Ökonomie ausgeführt. Der „Volksinstinkt“ (MEW 20/138f) galt ihm als eine erste, notwendige Stufe im Prozess der Selbsterkenntnis und Selbstfindung der Arbeiterklasse, eine „Keimform der Bewusstheit“ (LW 5/385), wie es Lenin später nannte.

Der moralisch-ethischen Begründung des Sozialismus setzte Engels die dialektisch-materialistische Begründung der Gesetzmäßigkeit des revolutionären Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus entgegen. Der reale Boden, auf den er den Nachweis der Gesetzmäßigkeit des Sozialismus stellte, war die Analyse und Kritik der kapitalistischen Gesellschaft, war die Aufdeckung der ihr eigenen Unverträglichkeit zwischen gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung – dem Grundwiderspruch des Kapitalismus, der daraus entspringenden Gegensätze zwischen Proletariat und Bourgeoisie, zwischen Organisation der Produktion in der einzelnen Fabrik und der Anarchie der Produktion in der ganzen Gesellschaft sowie der unvermeidlichen Krisen, war der Nachweis der Notwendigkeit und materiellen Voraussetzungen für die revolutionäre Lösung dieser Widersprüche. Engels klassifizierte im „Anti-Dühring“ die in der kapitalistischen Produktionsweise und Gesellschaft wirkenden Widersprüche und wies nach, wie sie sich in verschiedener Erscheinungsform entfalten. In diesem Zusammenhang zeigte er, dass der Grundwiderspruch des Kapitalismus seinen „gewaltsamen Ausbruch“ in den Wirtschaftskrisen findet. Engels analysiert im „Anti-Dühring“ auch neue Erscheinungen in der Entwicklung des Kapitalismus. So die Anfänge der Monopolbildung und des beginnenden Übergangs zum Imperialismus.  Er zeigte, dass diese Erscheinungsformen kapitalistischer Vergesellschaftung keineswegs die Lösung des Grundwiderspruchs bedeuten. In diesem Zusammenhang untersucht Engels auch das Eingreifen des bürgerlichen Staates, machte deutlich, dass dieser eine wesentlich kapitalistische Maschine ist, Staat der Kapitalisten, ideeller Gesamtkapitalist. Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus. Davon, dass, wie das bei Bismarck behauptet wurde, jede Verstaatlichung Sozialismus bedeutet, kann keine Rede sein. (MEW 20/260) Aber der Vergesellschaftungsgrad der Produktion nimmt solche Ausmaße an, dass ihm auch kollektive Kapitalunternehmen nicht mehr gerecht werden. Der Staat muss ihre Leitung übernehmen. (MEW 20/259 FN)

Engels sah im bürgerlichen Staatseigentum an den Produktionsmitteln nicht die Lösung, aber das „formelle Mittel, die Handhabe der Lösung“. (MEW 20/260) Er kennzeichnete die Schaffung von kapitalistischem Staatseigentum als „Erreichung einer neuen Vorstufe zur Besitzergreifung aller Produktivkräfte durch die Gesellschaft selbst.“ (MEW 19/221 FN)

Zum Sozialismus führt nur die proletarische Revolution. Der bekannte Satz lautet: „Indem die kapitalistische Produktionsweise mehr und mehr die große Mehrzahl der Bevölkerung in Proletarier verwandelt, schafft sie die Macht, die diese Umwälzung, bei Strafe des Untergangs, zu vollziehn genötigt ist. … Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum.“ (MEW 20/261) Soweit es von der Arbeiterklasse abhängt, das hatten Marx und Engels stets betont, ziehen sie eine friedliche Entwicklung des revolutionären Übergangs vor. Marx und Engels haben aber auch klargestellt und die Erfahrung hat es bestätigt, die Arbeiterklasse muss bereit und fähig sein, einer bewaffneten Konterrevolution entsprechend zu begegnen.

Es sei hier darauf hingewiesen, dass die Frage des Staatseigentums, wie sie Engels aufgeworfen hat und wie sie sich historisch entwickelte, zu einem Problem führt, das mit den Erfahrungen der Pariser Kommune zusammenhängt. Wer sich näher damit befassen will, sollte das Buch von Uwe-Jens Heuer „Marxismus und Demokratie“, Dietz Verlag Berlin 1989 zur Hand nehmen. Ab Seite 121 geht Heuer auf den „Widerspruch zwischen Eigentümerstaat und Kommunestaat“ ein.

Im „Anti-Dühring“ gibt es keine Zugeständnisse an utopistische Detailmalerei. Engels entsprach mit der Darlegung wesentlicher Wesenszüge des Kommunismus, wie es im Abschnitt Sozialismus geschah, dem Bedürfnis der revolutionären Arbeiter nach wissenschaftlich begründeten Vorstellungen über die von ihnen zu erkämpfende Gesellschaft. Für die revolutionären Sozialisten der Generation August Bebels wurden der „Anti-Dühring“ und „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ zur wichtigsten Quelle wissenschaftlicher Vorstellungen über die künftige Gesellschaft, wie Rolf Dlubek und Renate Merkel betonen. Viele bedeutende Werke, so auch die „Kritik am Gothaer Programm“ waren noch nicht veröffentlicht. Der Kommunismus wird nicht im Sinne eines „Endzustandes“ dargestellt, sondern als ein gesellschaftlicher Entwicklungsprozess, eine Epoche ständiger Höherentwicklung und tiefgreifender Wandlungen in Etappenzielen (was nichts mit Bernstein zu tun hat, da die sozialistische Revolution, der Bruch mit dem Kapitalismus vorangestellt ist). Dargestellt wird, wie auf der Grundlage der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse und des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln die Produktivkräfte planmäßig zum Wohle des Volkes entwickelt werden. Es kam Engels vor allem darauf an, die kommunistische Gesellschaftsformation als prinzipiell neuen Typ gesellschaftlicher Organisation und Entwicklung allen vorangegangenen Gesellschaftsformationen gegenüberzustellen; sie als einheitlichen und in ständiger Umwandlung begriffenen Organismus zu betrachten. Er geht deshalb nicht auf die Unterscheidung zwischen einer niedrigen und einer höheren Phase ein, Sozialismus und Kommunismus sind insofern synonyme Begriffe.

Die kommunistische Gesellschaftsformation ist, wie Engels feststellt, gekennzeichnet

  1. durch die Errichtung der politischen Macht der Arbeiterklasse, die Umwandlung des Staates in „einen Repräsentanten der ganzen Gesellschaft“ und „Besitzergreifung der sämtlichen Produktionsmittel durch die Gesellschaft“ sowie die Herausbildung neuer, von der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen befreiter Produktionsverhältnisse;
  2. durch eine solche Entwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, die es „allen Gesellschaftsmitgliedern erlaubt, ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten möglichst allseitig auszubilden, zu erhalten, auszuüben“;
  3. durch eine planmäßige Organisation der Produktion nicht nur im Rahmen der einzelnen Betriebe, sondern im Maßstab der ganzen Gesellschaft, rationelle Regelung des Stoffwechsels des Menschen mit der Natur;
  4. durch eine ununterbrochene, sich ständig beschleunigende Entwicklung der Produktivkräfte, die zur Überwindung der alten, den Menschen verkrüppelnden Arbeitsteilung, zur Überwindung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, zwischen geistiger und körperlicher Arbeit führt;
  5. durch die Teilnahme aller arbeitsfähigen Mitglieder der Gesellschaft an der produktiven Arbeit und dadurch, dass sich die Arbeit allmählich in das erste Lebensbedürfnis verwandelt;
  6. durch die Herausbildung einer neuen Qualität der politischen Organisation der Gesellschaft und ihrer sozialen Beziehungen. Aufhebung der Klassengegensätze und Klassenunterschiede. Es handelt sich um eine klassenlose Gesellschaft, der Staat stirbt ab, die Religion stirbt ab;
  7. mit dem Klassengegensatz im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander.

Mehrfach thematisiert Engels das Ende der Warenproduktion. Er geht davon aus, dass sie unter ganz bestimmten ökonomischen Voraussetzungen aufgehoben wird. Diese Voraussetzungen bestehen in erster Linie darin, dass die Arbeit jedes Mitglieds der Gesellschaft von vornherein direkt gesellschaftliche Arbeit ist und dass die auszutauschenden und der Produktionsplanung zugrunde liegenden Arbeitsquanta unmittelbar in Arbeitszeiteinheiten gemessen werden können. Aufbauend auf den Erfahrungen des realen sozialistischen Aufbaus schließt sich hier eine in der Gegenwart zunehmende Diskussion an, die allein mit Zitaten von Marx und Engels nicht zu bewältigen ist. Im „Anti-Dühring“ heißt es, dass der Sozialismus die menschliche Arbeitskraft von ihrer Stellung als Ware emanzipieren will. (EA/245) Damit fällt selbstverständlich die höchste Form der Warenproduktion, die kapitalistische Warenproduktion weg. Fritz Behrens, ein bedeutender, aber später vergessener Ökonom aus der DDR, schrieb davon ausgehend: „Das grundlegende Kriterium einer sozialistischen Produktionsweise ist … nicht die Aufhebung der Warenproduktion, sondern die Aufhebung des Warencharakters der Arbeitskraft.“ (Abschied von der sozialen Utopie, Berlin, Akademie Verlag, 1992, S. 135; siehe auch S.144f, 147 und 152) Insgesamt galt z.B. in der DDR, dass Ware-Geld-Beziehungen auf der Grundlage sozialistischer Eigentumsverhältnisse notwendige Entwicklungsformen sozialistischer Planwirtschaft sind. Erst nach einer langen historischen Zeitdauer im voll entfalteten Kommunismus würden sie absterben.

Hier ist nun allerdings nicht der Ort, um diesen Gedanken weiter zu hinterfragen. Jedoch ist es m. E. einleuchtend, dass die kommunistische Gesellschaftsformation in ihrer Entwicklung nicht auf der Warenproduktion als ständigen Begleiter aufbauen kann. Soweit es sich um die Übergangsperiode vom Kapitalismus zur kommunistischen Formation handelt, hat Marx auf die bekannten „Muttermale“ verwiesen. Der Begriff „sozialistische Warenproduktion“ meint aber etwas anderes. Er bedeutet keine höhere Form oder einen neuen Typ der Warenproduktion, sondern m. E. die Widerspiegelung realer Gegebenheiten der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und eines länger währenden Prozesses, der letztlich zum Absterben bzw. zur Aufhebung der Warenproduktion führt und führen muss. Der Aufbau und die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft auf ihrer eigenen Grundlage, dies hat sich m.E. erwiesen, ist kein kurzfristiger sondern ein langwieriger Prozess, wie es auch Walter Ulbricht gesehen hat. Einen Einblick in die dazugehörige Diskussion kann gewonnen werden bei Harry Nick, „Ökonomiedebatten in der DDR“, GNN Verlag 2011. Wie gesagt, das wäre gründlicher in einer eigenständigen Veranstaltung zu diskutieren.

An dieser Stelle der Hinweis: Ich möchte euch das in meiner Literaturliste aufgeführte Buch von Rolf Dlubek und Renate Merkel, „Marx und Engels über die sozialistische und kommunistische Gesellschaft“, sehr ans Herz legen. Neben Uwe Pacholiks Einführung in Engels’ Schrift beziehe ich mich durchgängig auf dieses Buch. Ihr findet hier eine sehr gründliche und überzeugende Darstellung der Entwicklung der marxistischen Lehre von der kommunistischen Umgestaltung.                                                                                                                                 

Damit bin ich am Ende meines Vortrages angelangt.

Um die Bedeutung von Engels’ Schrift Herrn Eugen Dühring’s Umwälzung der Wissenschaft zu verdeutlichen, sei abschließend an das Urteil Rjasanows, von 1921 bis 1931 Leiter des neu gegründeten Marx-Engels-Instituts in Moskau, erinnert, wonach dieses Werk „eine Epoche“ in der Geschichte des Marxismus geprägt hat. Daran gilt es anzuknüpfen. Heute mehr denn je.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Für meinen Vortrag habe ich folgende Literatur verwendet:

 

  • Rolf Dlubek, Renate Merkel, Marx und Engels über die sozialistische und kommunistische Gesellschaft, Dietz-Verlag Berlin 1981.
  • Gemeinschaftsarbeit UdSSR und DDR, 100 Jahre „Anti-Dühring“ – Marxismus, Weltanschauung, Wissenschaft, Akademie Verlag, Berlin 1978.
  • Kurt Hager: Ein aktuelles Handbuch für klassenbewusste Arbeiter – 100 Jahre „Anti-Dühring“ von Friedrich Engels, Vortrag auf der internationalen wissenschaftlichen Konferenz der Akademie der Wissenschaften der DDR, der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED und der Humboldt-Universität zu Berlin, Dietz Verlag, Berlin 1978.
  • Manfred Kliem: Friedrich Engels – Dokumente seines Lebens 1820-1895, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, 1978.
  • Udo Pacholik: Einführung in Engels’ Schrift Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft („Anti-Dühring“), Dietz Verlag Berlin, 1985.
  • MEW Bd. 19 und 20.
  • Die Einzelausgabe des „Anti-Dühring“ (EA), Dietz Verlag Berlin, 1958, 11. Auflage, 1. Auflage 1948
  • Ergebnisse der Marxforschung: https://marxforschung.de/.
  • Vladimiro Giacché, Die Sozialismuskonzeption des späten Engels (1883-1895), Z – Nr. 133 März 2023
  • Derselbe, Sozialismus und Ende der Warenproduktion in Friedrich Engels’ Anti-Dühring, Marxistische Blätter, Heft 6/2020, S. 48-58.